Das Ende des Kohlebergbaus in Deutschland - KulturAS - Ihre Gemeinschaft für Kultur und Reisen

2024/2025
Gemeinschaft von netten, unternehmungslustigen, kulturbewussten und reiselustigen Menschen
Sulzbach-Rosenberg/Feuerhof
Neigierich?
Kummer! Zouhurchn!
Direkt zum Seiteninhalt
Klenzeschacht
Ehemaliger Maxhütten-Arbeitsdirektor Manfred Leiss
"Bergbau, Maxhütte, Sozialgeschichte"
Das Ende des Kohlebergbaus in Deutschland

Am 21. Dezember 2018 wurde in Bottrop die Zeche Prosper Haniel als letzte Kohleförderanlage in Deutschland geschlossen. Damit endete die Ära der Steinkohlenförderung, die für die Menschen, für die Sozialbeziehungen und für die Industrialisierung in unserem Land so viel bedeutete und die eine Region wie das Ruhrgebiet prägte. Auf dessen Feldern haben die Bauern schon im 13.Jahrhundert auf ebenerdigen Flözen Kohle eingesammelt. Die offenen liegenden Kohlefelder waren alsbald abgetragen und als auch die Löcher und Gräben-(Pingen genannt)- nichts mehr hergaben, mussten im 16.Jahrhundert in geringer Tiefe Stollen angelegt werden und Kohle wurde in waagrechter Ebene geschürft.  Als Ursprung gilt das Muttental bei Witten, wo seit 1578 Kohle in Stollen abgebaut wurde.

Die erste industrielle Revolution mit der aufkommenden Stahlproduktion machte die Kohle zum unverzichtbaren Stoff. Die Kohle wurde zum Treibstoff der Industrialisierung.
Durch die Veredlung der Kohle zu Koks erreichten die Hochöfen der Stahlindustrie immer besseres Ausbringen. Die Montanindustrie-Kohle und Stahl- wurde zur Schlüsselindustrie für die Industrialisierung, gehegt und gelobt von den Mächtigen der Politik. Wie hätten Kriege geführt werden können ohne Stahl und wie hätte die chemische Industrie in ihrer Frühphase ohne Kohle ihre Produkte auf den Weg gebracht. Die Kohle von der Ruhr war das Fundament für Deutschlands Industrialisierung und seinen Aufstieg auch zur politischen Großmacht.
Kohle stand für Wärme, Licht, Energie, Transport, Fortbewegung, Medizin, Farbe und Ernährung. Und als Kohle in immer größerer Tiefe abgebaut wurde und das Wasser die Gewinnung behinderte, wurden die ersten erfundenen Dampfmaschinen zum auspumpen eingesetzt. Daraus wurden dann die fahrenden Dampfmaschinen, die Eisenbahn.
Für das Geschichtsbild des Ruhrbergbaus sind die Buchdokumente von Franz-Josef Brüggemeier, „Leben vor Ort-Ruhrbergleute und Ruhrbergbau 1889-1919“, erschienen 1983 und „Grubengold –Das Zeitalter der Kohle von 1750 bis heute“, erschienen 2018, Standardwerke. Im letzteren beschreibt er wie die Kohle ein Zeitalter prägte, wie die Bergleute arbeiteten-es gab untertage Solidarität, Zwist und Verzweiflung. Die Fragestellung, ob die Bergleute zur Demokratisierung beigetragen haben, ist  zunächst hypothetisch, denn die Arbeitsordnung im Bergbau war in der Anfangsphase brutal hierarchisch und ausbeuterisch, oft in Leibeigenschaft gebunden und massenweise Kinderarbeit. Englands erster Arbeiter, der Unterhausabgeordneter wurde, hatte im Alter von sechs Jahren im Schacht begonnen. Die Kohle hat nicht nur wirtschaftliche Wucht und Macht verliehen; um gutes Ausbringen zu garantieren, wurden auch Zugeständnisse der Kohlebarone erreicht und Ansätze für Sozialpartnerschaft gefunden. Die im Umfeld der Kohleproduktion entstandenen Einrichtungen, hier insbesondere die Knappschaftskrankenhäuser hatten hohen Stellenwert und ihre Nachfolgekliniken haben heute einen beachtlichen Ruf. Dass schließlich das Urgestein Kohle dazu beitrug über die Montanunion die Europäische Gemeinschaft ins Leben zu rufen, ist ein historisches Verdienst. In den Unterausschüssen der Montanunion-ich war als Stahlvertreter für die IG Metall manchmal dabei-, meist in Luxemburg zusammentretend, wurde vieles für die Angleichung und Verbesserung der Sozialstandards der Montanunionsländer geleistet. Insoweit erwies sich die Kohleindustrie als Antriebsquelle für die europäische Einigung, zugegeben manchmal von der expandierenden Stahlindustrie nicht immer gern gesehen.

Über das Leben im Bergbau in der Frühphase, die harte und gefährliche Arbeit vor Ort, wurde mitfühlend aber eher heroisch geredet. Und die Veröffentlichungen über Missstände, menschenunwürdige Arbeitsbedingungen und schlimme Ausbeutung sind unterblieben oder wurden von den Bergbaubaronen und der oberen Gesellschaft unterdrückt. Vielleicht hatte in Frankreich und England Karl Marx und das Kommunistische Manifest deutlicher Spuren hinterlassen. So konnte Emile Zola 1885 den bis heute viel gelesenen  Roman „Germinal“ verfassen, mit dem die unmenschlichen Verhältnisse in französischen Bergwerken des 19.Jahrhunderts beschrieben werden und ein Aufstand der Arbeiter  brutal niedergeschlagen wird; einige aber trotzdem an den Sieg des Sozialismus glaubten.

Die Kohle im Ruhrgebiet war verantwortlich für die größte Einwanderungswelle in Deutschland bis zum ersten Weltkrieg: Eine halbe Million Menschen sind eingewandert, die meisten aus Polen. Sie haben das Ruhrgebiet, das Sozialverhalten und die zwischenmenschlichen Beziehungen geprägt, mancherorts sogar mit Parallelgesellschaften. Und sie sorgten für eine Nomenklatur, die bis heute verfolgbar ist. Und sie haben auch Sportgeschichte geschrieben. Als auf der Zeche Consolidation in Gelsenkirchen 1904 Schalke 04 gegründet wird, besteht die Hälfte der Belegschaft aus Einwandereren aus Masuren und der Verein wurde lange verächtlich „Polackenverein“ genannt. Der (Kohlen) Pott und die industriell geförderte Steinkohle, das war 200 Jahre nicht voneinander zu trennen. Das Freizeit- und Sozialverhalten hatte viel Varianten, manches war eigener Kult, wie etwa das schnelle Pils in der Eckkneipe nach der Schicht, wie ich es selber 1953 in Dortmund noch erlebt habe. Das war die Zeit mit den höchsten Produktionszahlen und einem Arbeitspotenzial von
384.000 Menschen an der Ruhr und im Saarland. Die Bergleute verfluchten und verehrten ihre Maloche, das weiß ich aus vielen Gesprächen. Sie waren stolz auf das, was sie dem Berg an wertvollem Stoff Kohle abgerungen haben, wohlwissend um die Gefährlichkeit ihres Berufsstandes.
Und da muß man sich Tausender Kumpel erinnern, die ihre wohlverdiente Rente nicht erlebt haben und viel zu früh an Staublunge gestorben sind; und wie ich es auch erlebte, in fast schicksalhafter und manchmal frömmiger Ergebenheit ihr Los hingenommen haben.      
Und wie viel mehr hätte die deutsche Bevölkerung in der Nachkriegszeit gefroren, wenn es nicht die Sonderschichten der Kohlekumpels gegeben hätte. Und nicht zu vergessen den Bildungs- und Kulturbeitrag. Dank ihrer Bereitschaft und mit gewerkschaftlicher Unterstützung entstand in den ersten Nachkriegsjahren das Tauschgeschäft Kohle gegen „gewärmte“ Kunst. Daraus sind die Ruhrfestspiele in Recklinghausen entstanden.
Die Kohle und ihr Abbau an der Ruhr waren über lange Jahre subventionsabhängig mit zeitweise 80.000 Euro pro Arbeitsplatz, um Arbeitsplätze zu erhalten. Bis zu 4 Mrd. hat der Bund dafür ausgegeben. Und wie in keinem anderen Industriezweig wurden für die Kumpels sozialverträgliche Lösungen bei der „Abkehr“ vom Arbeitsplatz gefunden, damit keiner „in`s bergfreie“ gefallen ist.

Der Strukturwandel, diesen mühsamen und schmerzhaften Anpassungsprozess durchleben und durchleiden die mehr als fünf Millionen Menschen im Ruhrgebiet seit nunmehr seit zwei Generationen. Die Arbeitslosenquote dümpelt knapp unter 10 %, in Duisburg, Essen, Gelsenkirchen oder Dortmund lebt jeder Fünfte von Hartz IV. Einer der Vorzeigebetriebe für Umstrukturierung in den 60iger Jahren war der inzwischen geschlossene Opelbetrieb. Viele Initiativen haben zur Trendwende in Richtung neuer Technologiebetriebe geführt, Forschungsinstitute haben sich niedergelassen und die Hochschulen in NRW genießen guten Ruf.
Trotzdem erfuhr die Umstrukturierung mit der Wende 1989 einen Knick. Der alte Westen wurde zum Opfer des neuen Ostens. Mit den finanziellen Lasten der Deutschen Einheit für die ärmsten Städte an der Ruhr nahm deren Schuldenlast zu und die Regierungen in Berlin und Düsseldorf haben es unterlassen die Altschulden in einen Sonderfonds umzuschichten. Dort wo die Bergleute wegzogen sind, kamen wegen niedriger Mieten Sozialschwache, Arbeitslose, Flüchtlinge. Manche Stadtteile verkommen zu Zonen inländischer Abschiebung, zu Ghettos. Die Kinder haben kaum Chancen auf eine gute Ausbildung und höhere Abschlüsse.

Noch arbeiten 4000 Menschen bei der RAG und ab 2022 werden es noch 500 sein, die überwiegend Schächte und Bergbauflächen von Altlasten befreien, sogen. Ewigkeitskosten von 220 Mio Euro per anno. Zur Finanzierung wurde durch die Gründung des evonik-Chemiekonzerns gesorgt, in den 2007 die zukunftsträchtigen Geschäfte der RAG eingebracht wurden. Zuletzt erzielte evonik einen Jahresüberschuss von 430 Mio Euro, so daß der öffentlichen Hand die Ewigkeitskosten erspart bleiben.
In den letzten 20 Jahren hat RAG 85.000 Arbeitsplätze abgebaut, 45.000 gingen in Ruhestand oder Vorruhestand. Eine größere Anzahl wurde in andere Beschäftigungen gebracht wie Berufsfeuerwehren, zur Bahn oder in Flughäfen. Etwas befremdlich mutet an, dass Beschäftigte der RAG trotz einer vertretbaren Abfindung für ihnen vertraglich zustehende Deputatkohle bis zum Lebensende nun den Rechtsweg beschreiten und von der auch von der Gewerkschaft BCE beschworenen „Partnerschaft auf Augenhöhe“ nichts halten.
Die Stahlwerke müssen, soweit sie Kohle oder Kokskohle für ihre Produktion benötigen, diese aus dem Ausland beziehen oder sie wenden sich den in Rede stehenden neuen Methoden zu. Auch die eine bestimmte Zeit am Netz bleibenden Kohlekraftwerke müssen die benötigte Kohle im Ausland einkaufen. 2018 wurden 13 % des Stroms in Deutschland in Kohlekraftwerken erzeugt.      

Dass trotz der Kampfaktionen um den Hambacher Wald NRW`s Landesregierung am schnellen Kohleausstieg-wohl mit Rücksicht auf die Energieunternehmen- rüttelt, führt zu unnötigen Konflikten mit den Umweltverbänden. Dass der Vorsitzende der Deutschen Umweltstiftung Sommer sagt, die Kohlekommission spiele Klimaschutz und Wohlstand gegeneinander aus und man müsse weiteres Wirtschaftswachstumm verhindern, schießt über das Ziel hinaus. Es muß doch Wege geben, Wachstum, Wohlstand, Beschäftigung und ökologische Zielsetzungen zu einem tragfähigen Kompromiß zu führen.  
Der Ausstieg aus der Kohle ist Teil der Energiewende und unserer Umwelt verpflichtet. Insoweit sind gelegentliche Bemerkungen, dass Kohle in Indonesien, Südafrika oder Kolumbien billiger gefördert wird, süffisant. Es geht nicht um Marktpreise der Energieträger und Konkurrenten der Kohle wie Gas und Öl, sondern um Existenzbedingungen der Menschheit, sicher demnächst auch in Indonesien. Da sind Forschungsergebnisse erwähnenswert, über Unmengen an ultrafeinen Staubpartikeln, die trotz der Abgasreinigung von Kohlekraftwerken ausgestoßen in hohen Luftschichten anzutreffen sind. Und australische Forscher sahen einen Zusammenhang zwischen Inbetriebnahme von neuen Kohlekraftwerken und den Regenmengen in Australien.   

Die Stilllegung der Kohlezechen birgt auch Risiken. Bleibt zu hoffen, dass keine Bergsenkungen eintreten, die Gebäude übertage gefährden könnten. Bei den gegebenen geologischen Formationen unwahrscheinlich. Aber wer weiß ob die Abauorte mit Versatz verfüllt wurden oder auch Wasserläufe Veränderungen untertage Wirkungen übertage herbeiführen könnten. Bleibt zu hoffen, dass die Experten mit ihren Versuchen die riesigen Mengen Wasser nutzen können und  in den Wärmekreislauf einspeisen können. Insoweit ist das alte Kohlerevier zu einem Versuchslabor mit ökologischere Bedeutung geworden.       
Nicht vergessen werden dürfen die Bergbauregionen im Osten Deutschlands wie etwa in der Lausitz. Mit dem beschlossenen Ende der Braunkohle wird nun auch in dieser Region die letzte große Industrie abgewickelt. Der Bergbau wird trotz aller Naturierung ein entkerntes Land hinterlassen und die Umstrukturierung mühsam sein. Bleibt zu hoffen, dass bei der Ansiedlung neuer Industrien nicht wieder eine Geldhaiepraxis wie einst bei der TREUHAND greift.
Nach Vorgaben der Kohlekommission der Bundesregierung wird die Lausitz über einen Zeitraum von 20 Jahren 18 Mrd. Euro erhalten.  
In der Lausitz und dem mitteldeutschen Revier in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt, dem Rheinischen Revier in NRW und dem Helmstedter Revier in Niedersachsen droht der Wegfall von bis zu 60.000 Jobs. Zudem fallen jährlich 3,3 Mrd. Euro Wirtschaftsleistung weg. In den 40 Mrd. Euro für den Kohleausstieg sind Entschädigungen für die Kraftwerksbetreiber bei vorzeitiger Abschaltung ihrer Anlagen noch nicht enthalten. Steuerzahler hilf! Welche zusätzlichen Aufwendungen anfallen, wenn die Abschaltung der Kohlekraftwerke vor 2038 vollzogen wird, ist offen.   

© Manfred Leiss
Zurück zum Seiteninhalt