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"Leben in der Bergmannssiedlung"
Rauben (Bergmännischer Fachbegriff)
Rauben war, aus den Strecken der abgebauten Grubenfelder alle Bauten zu entfernen.
Dazu
wurden mit einer pressluftangetriebenen Seilwinde aus sicherer
Entfernung die Baue (Stützen, Stempel) herausgezogen. Durch die dann
umgekippten und weggezogenen Türstöcke wurde die Decke nicht mehr
abgestützt und stürzte ein.
Das
Material wurde bis hinter die Seilwinde getragen. Von da übernahmen
andere Kameraden den Transport nach über Tage. Das Holz durfte in der
Grube nicht mehr verwendet werden. Die Bergleute erhielten es vom
Obersteiger als Brennholz zugeteilt.
Wie ging das Rauben genau vor sich?
Wenn
das Erz bis an die Erzgrenze abgebaut war, begann der Rückbau. Die
Ausbauten, die die Strecke und damit die Bergleute, vor dem Gebirgsdruck
schützten, wurden entfernt. Die Arbeit war gefährlich. Es wurden nur
erfahrene Bergleute, maximal 2-3 Mann, eingesetzt. Sie waren aufeinander
eingespielt, erkannten am Zustand der Stempel und der Deckenbretter wie
hoch der von oben kommende Druck und damit auch die Gefahr beim Rauben
war. Durchgedrückte und gebrochene Deckenbretter und angebrochene
Stempel zeigten dem erfahrenen Bergmann, dass das Gebirge über ihm in
Bewegung war. Für Bergleute „plauderte“ das Holz. Sie konnten am Knacken
und Knistern der Bretter und Stempel und deren Zustand abschätzen, wie
sie beim Rauben vorgehen mussten.
Die
Stempel wurden bereits beim Auffahren der Strecke in Vertiefungen
gestellt, damit sie nicht seitlich ausweichen konnten. Die Kappe, das
obere Querholz, wurde zur Decke verkeilt. Je größer der Gebirgsdruck
war, desto dichter wurden die Stempel nebeneinander gestellt. Damit kein
loses Gestein herunterfallen konnte, schoben die Bergleute halbierte,
dünnere Rundhölzer oder Bretter ein. Um die Türstöcke gegen seitliches
Verschieben zu sichern, wurden sie mit unterschiedlich langen Klammern
verbunden. All das musste beim Rauben wieder herausgenommen werden – je
mehr, desto besser. Die Klammern konnten wieder verwendet werden, das
Holz wurde Brennholz für die Kameraden.
Zunächst
wurden die nicht mehr benötigten Schienen am Boden entfernt und
zurückgetragen, dann folgte der Holz-Ausbau. Wenn irgend möglich, wurde
immer im Schutz des stehenden, sicheren Ausbaus gearbeitet. Zuerst
wurden die Klammern aus dem Holz herausgezogen und anschließend der Fuß
der Stempel freigelegt, sodass sie weggezogen werden konnten. Im
nächsten Schritt wurden dann die Stempel unten an ein starkes Stahlseil
angehängt, das zu einer weiter zurückliegenden Pressluft-Haspel führte.
Die Bergleute zogen sich an einen sicheren Platz hinter der Haspel
zurück und ließen die Winde anlaufen. Das Rattern der Winde übertönte
das Ächzen der Hölzer und nach wenigen Sekunden krachte das lose Erz
herunter. Meistens war es durch den Druck des gelockerten Gebirges
bereits mürbe, stürzte mit einem Ruck herunter und rieselte in die
abgesicherte Strecke.
Die
Kameraden zogen nun mit der Winde die Hölzer heraus und begannen, im
Schutz der noch stehenden Türstöcke, das Erz wegzuschaufeln. Große
Erzbrocken wurden mit dem Pickhammer zerkleinert, mittelgroße gleich in
den bereitstehenden Hunt geworfen. Der Schlepper schob den Wagen zur
Erzrolle.
War das Erz an der
Decke nicht herabgefallen, wurde mit langen Stangen oder Sprengstoff
nachgeholfen. War es sehr hart, wurde vom sicheren Ausbau aus schräg in
die Decke gebohrt, die Löcher geladen geschossen, wie der Bergmann sagt.
Hier war immer wieder die Erfahrung, aber auch das Bauchgefühl der
Bergleute gefragt. Denn niemand konnte mit absoluter Sicherheit sagen,
wie sich das Gebirge verhielt. Auch wenn es zunächst standfest erschien,
konnte es plötzlich, mit einem Schlag und ungeheurer Wucht herabstürzen
und alles darunter begraben.
Diese
Rückbau-Arbeiten wiederholte sich, im Dreischicht-Betrieb so lange, bis
der Blindschacht erreicht war und die ausgeerzte Strecke verschlossen
wurde.
© Helmut Heinl 2023