Helmut Heinl Autorenseite
"Leben in der Bergmannssiedlung"
Plötzlicher Streckenbruch
Geredet haben die Kameraden schon einige Tage, dass der Gebirgsdruck auf der Strecke nach Etzmannsberg zugenommen habe, weil einige Stempel tief in die weiche Streckensohle gedrückt und auch einige Firsten angebrochen waren. Aber man nahm die Sache gelassen, so etwas kam immer wieder vor. Auch der Steiger, dem die Veränderung nicht verborgen geblieben war, sah kein erhöhtes Risiko.
Doch plötzlich auf der Frühschicht hörten sie ein leises Grollen, wie der Donner eines fernen Gewitters, das immer näher kam und über ihre Köpfe hinweg ging, um in Richtung des Blindschachtes zu verschwinden. Und dann kam es. Es war ein gewaltiger Schlag, der den hölzernen Ausbau erzittern ließ. Staub wirbelte auf, die Flammen der Karbidlampen wurden ausgeblasen und schlagartig war es stockdunkel.
Die Männer wurden vom Luftdruck alle auf den Boden geworfen. Es war ein Bersten, Krachen und Brechen zu hören, das nach kurzer Zeit in einen einzigen Schall überging, um dann von einem schrillen pfeifenden Heulton übertönt zu werden. Irgendwo in der Richtstrecke musste die Pressluft-Rohrleitung an einer Verbindung auseinandergerissen worden sein. Dann wurde es ganz still. Irgendjemand hatte am Schacht die Pressluftzufuhr unterbunden. Vereinzelt hörten sie kleine Steine fallen oder das Holz ächzen. Die Ruhe war beängstigend, weil keiner wusste, ob sie in Sicherheit waren oder noch mehr zu Bruch gehen würde.
Nach dem ersten Schrecken riefen die Männer sich gegenseitig an und stellten fest, dass keinem von ihnen etwas passiert war. Dem ersten gelang es, mit zitternden Händen, wieder sein Karbidlicht zu entzünden. Er hielt es den anderen hin, damit diese ebenfalls ihr Geleucht wieder anzünden konnten. Dann zogen sie sich schnell ein Stück zurück.
Mit weichen Knien leuchteten sie die Strecke ab, um das ganze Ausmaß des unvorstellbaren Gebirgsdruckes zu erkennen. Fast 20 m der Strecke, wie man kurze Zeit später feststellte, waren zusammengedrückt. Von den ca. 4 m² Querschnitt war noch 1 m2 vorhanden, aber nur auf einer Länge von 4 – 5 Metern, dann war die ganze Strecke verschüttet. Der hölzerne Ausbau war gebrochen, zersplittert, die dicken Stempel aus Fichtenholz wie Streichhölzer geknickt. Gott sei Dank waren sie weit genug von dem Streckenbruch weg und hatten außer einigen Schrammen, wo sie der Luftdruck zu Boden geworfen hatte, keine Verletzungen. Die Männer atmeten tief durch und warteten auf den Steiger, der über einen Blindschacht zu ihnen heruntergeklettert kam. Er sah sich den Schaden an und traf die notwendigen Anweisungen. Da es einer von den umgänglichen Steigern war, packte er auch selbst mit an, um den noch unversehrten Ausbau, direkt an der Einbruchstelle zu verstärken. Kurze Zeit später kamen weitere Bergleute von den anderen Abbaustellen und begannen mit den Aufräumungsarbeiten. Loses Gestein, zerbrochene Holzknüppel, gespreißelte Bretter wurden aus dem Streckenteil gezogen und zugleich der verschobene Ausbau durch Hilfsstempel abgestützt.
Bei der Ausfahrt und in der Kaue war das Ereignis natürlich der Gesprächsstoff und jeder der Bergleute war froh, dass er nicht betroffen war und niemand verletzt wurde. Es hätte auch ganz anders kommen können und es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass Kameraden beim Einsturz einer Strecke verschüttet und manchmal sogar tödlich verletzt wurden.
© Helmut Heinl 6/2020
Bild: Betriebsleiter Gustav Steberl