Helmut Heinl Autorenseite
"Leben in der Bergmannssiedlung"
Pfeiferlsteigers Rache
von Helmut Heinl
Steiger H. (Spitzname Gobel) war nach dem ersten Weltkrieg aus dem Elsass zugezogen und als Sonderling verschrien. Denn er benahm sich gegenüber den einheimischen Bergleuten manchmal recht nassforsch. Er stellte sich neben sie hin, schaute ihnen bei der Arbeit zu und trieb sie mitunter auch noch an, wenn es ihm zu langsam ging. Das gefiel den Bergleuten natürlich gar nicht, denn sie waren es gewohnt, vor Ort selbstständig zu arbeiten. Dafür hatten sie ja ihr Gedinge ausgehandelt. Auch sonst führte der Steiger ein strenges Regiment, bestimmte und mischte sich ein, wo die alteingesessenen Aufsichtskräfte drüber hinweg sahen.
Dass er etwas Besonderes war zeigte sich schon dadurch, dass er in der Grube sein Handtuch und seine eigene Waschgelegenheit hatte, was für einen Steiger die absolute Ausnahme war. Alle anderen vom Aufsichtspersonal gingen in die Kaue, in der sie einen eigenen Bereich hatten.
Der Pfeiferlsteiger war damals noch Vorhauer und wurde natürlich von dem Aufseher auch öfter dumm angeredet. Das ärgerte ihn und seinen Kollegen. Eines Tages sannen sie auf Rache.
Die Grube war damals voller Mäuse. Keiner wusste, woher die Tiere bis in diese Tiefe kamen. Entweder sie waren an Holzteilen entlang in den Schacht geklettert, irgendwo zwischen Hölzern versteckt mit eingefahren, oder, was wahrscheinlicher ist, von irgendeinem Scherzbold mitgebracht worden. Anfänglich hatten die Kameraden die putzigen Tierchen sogar von ihren Brotzeitresten gefüttert, aber dann wurden die Nager lästig. Jedenfalls hatten sie sich so stark vermehrt, dass sie schon fast eine Plage wurden und wo man sie erwischte erschlug, man sie.
Der unbeliebte Steiger hatte auch die Angewohnheit, seine Brotzeit nebst Besteck stets in einem Holzkästchen in die Grube mitzubringen. Manchmal wärmte er sich sogar darin sein Essen. Das Kästchen musste immer der Aufschreiber mit unter Tage nehmen und zum Brotzeitverschlag tragen. Der Aufschreiber ist, wie der Name schon sagt, der Mann der am Füllort die angefahrenen und entleerten Erzwägen aufschreibt. Der Brotzeitverschlag ist ein trockener Ort, den man mit ein paar Brettern etwas abteilte, damit der Wetterzug nicht störte. Dort legten die Bergleute vor Arbeitsbeginn ihre mitgebrachten Brotzeiten ab und verzehrten sie in der Pause. Der Brotzeitverschlag war - neuzeitlich ausgedrückt - auch der Kommunikationspunkt unter Tage.
Nun lässt es sich leicht erraten, was geschah. Der Kamerad vom Pfeiferlsteiger hatte wieder einmal eine Maus erwischt und umgebracht. Die beiden lauerten nun bis der Aufschreiber den Holzkasten wieder in den Brotzeitverschlag gestellt hatte und an seinen Arbeitsplatz am Schacht zurückging. Der Steiger, der meistens seine festen Runden ging, war zu dieser Zeit nicht zu erwarten. Sie öffneten also den Kasten, legten die Maus neben die Brotzeit des Steigers und klappten den Deckel wieder zu. Als H. zur Brotzeit kam, waren die beiden anderen gerade nicht da. Er setzte sich hin, öffnete den Kasten, stutzte, klappte ihn wieder zu, stand auf und ging. Den anderen Bergleuten, die ihre Brotzeit machten, war das nicht entgangen. Sie schauten selber in den Kasten und fanden die tote Maus. Die Sache ging wie ein Lauffeuer durch die Grube.
Der Mann hat den Kasten nie mehr angerührt. Lange Zeit stand er im Brotzeitraum, die Mäuse hatten ihn wegen des ihm entströmenden Duftes schon angenagt, bis ihn endlich einer auf den nächsten Hunt warf, der zum Füllort transportiert wurde. Die Schreiner der Grube mussten einen neuen Kasten machen, diesmal mit einem Schloss.
Direkt hatte er nie etwas gesagt, der H. Aber den Aufschreiber, der ihm anfangs verdächtig erschien, hat er eindringlich befragt und ihn beauftragt, unter den Leuten herumzuhören, wer es gewesen sein könnte. Der Pfeiferlsteiger und sein Kamerad hüteten sich aber, zu den anderen etwas zu sagen, oder sich gar mit ihrer Tat zu brüsten. Der ungeliebte Aufseher hatte seine Lehre weg, er wusste, er war blamiert, von wem auch immer. Und von dem Tag an, an dem er die Maus in seinem Brotzeitkasten gefunden hatte, war er den Leuten gegenüber auch etwas zurückhaltender und weniger überheblich geworden.
Gut ausgestattete Brotzeitbude im Feldesteil Fromm, um 1960.
Bild: Manfred Hausner
© Helmut Heinl