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"Leben in der Bergmannssiedlung"
Der Militarist
Einige Monate nach Übernahme der Herrschaft durch die Nazis stellte sich H. R. bei seiner ersten Anfahrt dem Steiger militärisch stramm vor: „Heiner R., gelernter Schreiner, Leutnant der Reserve“. Das gefiel dem alten, erfahrenen Bergmann überhaupt nicht. Denn er ahnte, dass der Neue nicht in das soziale Gefüge unter Tage passen würde und es deswegen schnell Unfrieden geben könnte. Um das zu vermeiden, ordnete er den Mann gleich der „richtigen“ Gruppe zu.
Die Kameraden machten ihm dann sehr schnell auf ihre „humorvolle Weise“ klar, was sie von dieser Art Militarismus hielten. Geholfen hat es leider nichts, der Mann war einer der wenigen Bergleute, die sich offen für die neue nationalsozialistische Ideologie begeisterten. Das führte dazu, dass er innerhalb seiner Gruppe und der benachbarten Gruppen isoliert war und in seiner Gegenwart nicht mehr über Politik gesprochen wurde. Wenn er von der neuen Zeit schwärmte, die angebrochen war, bekam er von den anderen einfach keine Antwort mehr und während der Brotzeit setzte sich nach Möglichkeit niemand neben ihn.
Auch nach einem Wechsel in eine andere Gruppe wurde er nicht in die Gemeinschaft aufgenommen. Denn sein schneidiges Auftreten bei der ersten Anfahrt hatte schnell die Runde gemacht und seine offen gezeigte politische Einstellung kam nicht an. Er war ausgeschlossen von der Kameradschaft unter Tage, erfuhr nicht was gesprochen wurde und konnte deswegen auch nichts an seine Gesinnungsgenossen melden.
So wurden im Arbeitsalltag der Erzgruben, ganz unspektakulär und unauffällig, Leute ausgegrenzt, die sich nicht an den üblichen Umgang unter den Kameraden anpassten.
Das Problem löste sich dann ganz von selbst, als der Krieg ausgebrochen war. R. meldete sich sofort als Freiwilliger. Nach 14 Tagen war er weg – und kam nie wieder zurück.
Quelle: Obersteiger Ritter
© Helmut Heinl 6/2020