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"Leben in der Bergmannssiedlung"
Wie der Scharrer Gowl katholisch wurde.
Sulzbach hatte zwar seit Jahrhunderten ein Simultaneum d. h., Protestanten und Katholiken benützten gemeinsam eine Kirche, trotzdem wurde im Privatleben immer auf strenge Trennung der Konfessionen geachtet. Glaubenswechsel und Mischehen waren nicht erwünscht. Jeder "hielt auf seinen Glauben". Unter Tage gab es zwar keine Probleme, aber in Diskussionen, wie es unter den Bergleuten üblich war, wurde natürlich immer wieder die eigene Konfession herausgestellt bzw. verteidigt. Dies änderte sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als durch die Flüchtlinge die alten verkrusteten Strukturen aufgebrochen wurden. Aber dies nur als Vorspann.
Der Scharrer Gowl war recht groß geraten, was schon sein Spitzname Gowl andeutet. Die Bezeichnung Gowl wird bei uns, unter anderem, für große, hagere Männer gebraucht. Er war ursprünglich Kapo in der Maxhütte gewesen und wurde, wegen seiner Zugehörigkeit zur NSDAP, als Hilfsarbeiter in den Bergbau versetzt. Anfangs musste er auf dem Holzplatz arbeiten, eine Arbeit, die von den Bergleuten als minderwertig angesehen wurde. Zum einen herrschte hier nicht die Kameradschaft wie unter Tage, weil es keine Gruppen gab. Die Arbeiter über Tage „gehörten nicht dazu“. Zum anderen war natürlich auch der Lohn erheblich niedriger, weil es keinen Leistungslohn und keine Schichten gab.
Nach ein paar Monaten Bewährungszeit durfte der Gowl aber dann doch einfahren und wurde der Gruppe des Stöcklmeier zugeteilt. Der hatte, nicht zu Unrecht, den Spitznamen Spöttlmeier.
Die Gruppe arbeitete an einem Ort, dessen Ausbau zwar 2,20 m hoch war, aber sehr schmal, so dass gerade der Hundt durchpasste. Als der Neue sich meldete, ging ein Schmunzeln über das Gesicht der anderen, weil sie sofort sahen, dass ein Großer an ihrem Ort sehr schlecht schaufeln konnte. Das aber musste der Neuling als Rangniedrigster der Gruppe. Der Stöcklmeier fragte ihn: „I wüll ja niat spöttln, owa bist evangelisch oder katholisch?“ Worauf der Gowl unwirsch antwortete: „Evangelisch, warum?“, weil er natürlich den Sinn dieser Frage nicht zu deuten mochte. Da gab der Stöcklmeier ganz nebenbei zu verstehen, dann könne schon sein, dass man ihn hier herunten katholisch mache. Was der Bergmann energisch zurückwies.
Die Arbeit wurde aufgenommen und der Mann gab sich die größte Mühe, das an der Ortsbrust hereingewonnene Erz hinter sich zu schaufeln, was ihm aber wegen der Enge so gut wie gar nicht gelang. Nach einiger Zeit ließ sich der sehr viel kleinere Stöcklmeier die Schaufel geben und schaufelte, über Kopf, den bereitstehenden Erzwagen voll, eine Arbeit übrigens, die viel Übung erforderte. Der Gowl konnte das schon deshalb nicht, weil er viel zu groß war. Da bedeutete man ihm, er solle sich hinknien, weil dann genügend Raum zwischen seinem Kopf und dem First (oben liegende Hölzer des Ausbaus) sei.
Der Mann kniete sich, nichts ahnend, hin und füllte auf diese ungewohnte Weise den Karren. Dann löste ihn der Stöcklmeier ab, um ihm die Technik noch einmal zu zeigen. Und anschließend ließen sie den Neuen noch einige Karren vollschaufeln.
Als der Steiger vorbeikam, fragte er scheinheilig: „Na, ich hab gehört, der Herr Scharrer will katholisch werden?“, worauf der Scharrer sofort protestierte. Davon könne keine Rede sein, wer ihm so einen Krampf erzählt habe. „Ja, sie knien aber doch schon ganz gut, Herr Scharrer“ meinte der Steiger unter dem Gelächter der Gruppe.
Dem Scharrer, dem zuerst die Zornröte ins Gesicht gestiegen war, dämmerte es, wie man ihn „katholisch gemacht“ hatte. Nachdem das Gelächter der Männer abgeebbt war, ließ man ihn eine Vertiefung graben, damit er von dort aus, trotzdem stehend, schaufeln konnte und der Steiger kündigte ihm an, er werde am nächsten Tag auf einer neuen Arbeitsstelle eingeteilt. Als die Frühschicht ausfuhr, hatte sich Gowls „Konfessionswechsel“ bereits herumgesprochen, sodass er sich in der Kaue einiges anhören musste.
© Helmut Heinl, 6/2020
Bilder zeigen Johann Stöcklmeier