Helmut Heinl Autorenseite
"Leben in der Bergmannssiedlung"
Der Friedhofsbomber
„Der Schinhammer“ war ein beliebtes Wirtshaus, wo man gut essen und trinken konnte. Neben dem „Tucher“ und dem „“Bartl es war für viele Bergleuten Stammlokal.
Für den Josef, der in Rosenberg wohnte, lag es quasi auf dem Weg von der Schicht nach Hause und er kehrte dort mehr als regelmäßig ein. Es muss wohl im ersten Jahrzehnt nach dem zweiten Weltkrieg gewesen sein, als die Fahrräder zum üblichen Verkehrsmittel wurden und sich auch der Josef eines für den Weg ins Bergwerk und zulegte.
Wieder einmal war er nach der Frühschicht beim Schinhammer eingekehrt, weil er ja direkt auf dem Heimweg lag, von der Grube Caroline immer bergab, Richtung Rosenberg. Wie immer, wollte er nur noch ein Seidl trinken, aber die Unterhaltung mit den Bergleuten war so interessant, dass es viele wurden, bis er endlich nach Hause aufbrach. Um den Weg um die Bierhalsgärtnerei abzukürzen, nahm er meistens den Weg direkt über den Friedhofsberg und fädelte sich unten am Hofgarten wieder in den damals noch recht spärlichen Verkehr ein.
Wieder einmal hatte er, wie man sagt, recht „schwer geladen“. So merkte er erst am steilen Friedhofsberg dass die Rücktrittbremse am Fahrrad nicht funktionierte. Die Kette war ausgehängt! Weil auch der Bremsklotz der Handbremse so gut wie völlig abgenutzt war, wurde er bergab immer schneller und schneller. Er zog am Griff, dass sich der Hebel verbog, sauste aber in seinem Rausch direkt auf das Friedhofsgebäude zu. Es machte einen Riesen-Rummser, als er mit seinem Körper gegen die massive Eingangstüre der Aussegnungshalle prallte und das Fahrrad gab noch einen blechernen Schepperer hinzu. Dann lag er dort, der Josef.
Just zu diesem Zeitpunkt standen Trauergäste, wie bei jeder Beerdigung, im Kreis um die Aussegnungshalle, als sie das Getöse hörten. Der Friedhofsschaffner und die Leichenträger, die in ihrem Kämmerchen auf ihren Einsatz warteten, rannten voll Schreck um die Ecke und sahen, wie der Josef sich gerade wieder aufrappelte. Außer einer Beule am Kopf und einer Abschürfung an der Hand schien ihm nichts zu fehlen. Und er wollte auch gleich wieder auf sein Fahrrad steigen, um vom Unfallort zu verschwinden. Denn die vielen Zuschauer waren ihm trotz seines Rausches sehr peinlich.
Das funktionierte aber nicht. Denn es war nicht nur das Licht der Fahrradlampe gebrochen, sondern das Vorderrad hatte einen riesigen Achter, so dass an Fahren überhaupt nicht zu denken war. Die Leichenträger, von denen auch einige Bergleute waren und den Josef kannten, versprachen ihm, das Fahrrad in einem Nebenraum der Aussegnungshalle aufzubewahren, sodass er es die nächsten Tage abholen könne. Das war dem Josef auch recht, er wollte nur schnell verschwinden. Denn trotz seines Zustandes schämte er sich natürlich, auch vor den Kameraden.
Am nächsten Morgen erschien der Mann wieder wie gewohnt zur Frühschicht, eine Hand eingebunden und auf dem Kopf eine Mütze, entgegen der sonstigen Gewohnheit. Beim Umziehen in der Kaue sahen seine Kameraden dann schon, dass er eine riesige Beule am Kopf hatte, die gelb und blau verfärbt war und abgeschürfte Oberarme.
Wer ihn nach der Ursache fragte, bekam keine Antwort. Aber bereits am Ende der Mittagschicht hatte es sich herumgesprochen, was dem Josef passiert war und weil er ausgerechnet noch gegen das Leichenhaus geprallt war, machte der Unfall umso schneller die Runde im ganzen Bergwerk.
Warum die Bremse nicht ging, wurde nie geklärt. Der Josef behauptete, man habe ihm die Kette ausgehängt, während er im Wirtshaus war. Aber keiner seiner Saufkumpane wusste davon.
Leider hat der Unfall den Josef nicht vom Saufen abgebracht. Er kehrte weiterhin nach beinahe jeder Schicht beim Schinhammer ein. Bald darauf verließ ihn seine Frau und dann ging es endgültig bergab. Eines Tages erschien er auch nicht mehr zur Arbeit auf der Grube. Der „Friedhofsbomber“, wie man ihn nach seinem Unfall nannte, verschwand aus dem Blickfeld der Bergleute. Keiner wusste wo er untergetaucht war.
© Helmut Heinl